„Was war früher immer im Oktober?“

von Bruni Sand

„Was war früher immer im Oktober?“

Universität, Semester Anfang,
das bedeutete Beginn
vor Aushangkästen stehen
Herbst Inskription
Luft Überforderung
Studentin sein Blackout
Straßenbahnfahren Luft im Kopf
Votivkirche Leselähmung
Votivpark nichts aufnehmen können
Anatomieinstitut

sofort beim Anblick
der Aushängetafeln Blickstarre

Vorlesungssaal
Sezierkittel
Selbstgeschneiderter Rock
breiter Gürtel mitschwimmen
Vintage Seidenbluse nicht dazugehören
Luftigkeit Frische
Lust auf Lernen

Angst, aufzufliegen
aufgedeckt zu werden
enttarnt zu werden
Ordnung Chaos
Übersicht Fremdland
Zuversicht Leere
Theseus Tempel kalte Nachtluft
Volksgarten TU Wien
Skripten Konzerte
Lernen Film
Unterstreichen durch die Straßen gehen
dicke Bücher
die ich nicht lernen werde
die aber gut und neu riechen

über die Welt reden
sich in einen Wirbel reden
wild sein
Café Alt-Wien anders sein
Schwarzspanier Café müde sein
Rauchen trockener Mund
Stinkendes Gewand große Gefühle

15.10., 12.45
Also nochmal
„Was bedeutet(e) der Oktober immer für mich?“

Uni-Monat, Lernen, den Geist durchlüften, Neue Vorlesungen, Skripten, Bücher, im Aufschreiben der Mitschrift noch eine gewisse Ordnung, dann Hinfetzen, eine luftige Lockerheit wie ein „Yeah!“, vermischt mit Nouvelle Vague Attitüde, Breitwand und Schwarz-Weiß, Jeanne Moreau like, mit Bullmannkappe, alter Lackmantel, Hände lässig in den Hosentaschen, Umhängetasche mit Papier, Moleskinehefte, Gedankenfetzen als eigene poetische Kraft begreifen und genießen…
Viennale Monat, Stehen vor dem Gartenbaukino mit Samtkappe, violetter Samt und ein ockerfarbenes Cape artiges Tuch über dem Sakko, Stiefeletten aus Venedig, mein Stil, meine Freude, ich fühle mich schön und cool und klug und glücklich…

Ich schließe lächelnd die Augen, wenn die schon tieferstehende, milde Herbstsonne in mein Gesicht scheint, ich sitze auf den Steinstufen des Theseus Tempels
Ich habe meine mir schon entfremdete Familie verlassen, ich wohne im dritten Stock, Zimmer, Küche, Kabinett, Blick auf die Donau
Einmal habe ich mit dem Stethoskop an der Wand gelauscht, ich konnte die zunächst nur dumpf geahnten, mit Schreiorgien ausgetragenen Streitkämpfe meiner Familie zwei Stockwerke tiefer mithören – „always the same old stories“, dachte ich und setzte mich ans Fenster, schaute hinüber zu den Auen, zum Fluss, Donau hin zum Meer…

Später, Jahre später, ich war Ärztin im Spital, da war der Oktober oft noch die letzte Möglichkeit, den Sehnsuchtsfluchtpunkt Griechenland zu erreichen, die Tage schon sehr kurz, die kretischen Nächte oft klirrend kalt, dafür gab es viel Raki zu trinken und heiße Linsensuppe zu schlürfen. Ich zeichnete wild und entschlossen, Preveli, Rethymnon, die schwarzen Silhouetten der Menschen, archaisch im Gegenlicht, vor dem Weit des Himmels
Ich fühle meine Haut, die mich mit der Welt verbindet, wie mit Goldstaub überzogen, samten, weich, bronzefarben, vom Meer, vom Sand, in den ich mich eingrabe

Mein Gehen
Mein Stehen
Mein Schauen
Mein Liegen
Mein Atem wird tiefer und langsamer
Ich gehöre hier her
Ich atme den Duft der roten Erde, Olivenhain, Oregano, Thymian, trockenes Gras
Ich binde mir einen Turban und singe in den Wind
Ich sammle Treibholz und Steine und lege Zaubersprüche
Meine Ölkreiden vermischt mit Sand, die Sandkörner kratzen, ich zeichne immer wilder und berauschter, ein Blatt nach dem anderen

„Werkstatt 20. Oktober“

Klingt revolutionär!
Klingt nach einer konspirativen Zelle!
Sind wir auch in einem gewissen Sinn!

Ich schaue hinunter in den Hof
Ich hänge Wäsche auf als junge Mutter
Ich spiele im Hof

Aus der Werkstatt tönt laute Opernmusik, Verdi, Mozart, erhabenes Klingen und Singen!
Herr Weissenbach restauriert alte Bilderrahmen, legt mit dem Pinsel dünne Blattgoldschichten auf, es riecht nach Schweiß, Terpentin, Holzstaub, Antiquitäten, alles ist kostbar

Ich möchte auch mit einem blauen Kittel in einer Werkstatt arbeiten zu lauter Musik, ich möchte Skulpturen erschaffen, meißeln, sägen, fräsen, schnitzen, schwitzen, mich in eine Müdigkeit hineinarbeiten!
Ich liebe das Wort Werkstatt und alles, was damit in mir zu schwingen beginnt! Danke, Inge!
Ich liebe den Oktober!
Ich bin zärtlich zu meinen Erinnerungen, ich liebe das Auffinden alter Dinge und lang nicht erinnerter Ideen und ich liebe das Neue, das darauf wartet, entdeckt und gelebt zu werden!

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