Biographische Miniatur
Requisit:
Lederhandtasche schwarz, fünfziger Jahre Stil, abgewetzt, mit Tragegriff und einem Metallreissverschluss mit Einhängeschnalle, rechteckige Form, eigentlich ein Handköfferchen, durch das Abgegriffen Sein weich und Handangenehm, gefüllt mit Wäscheklammern aus Holz und buntem Plastik…. Unsere alte Kluppentasche, also eigentlich die Kluppentasche meiner Mutter für den Waschtag. Sie hatte die Handtasche offenbar irgendwann ausgemustert und zur Kluppentasche umfunktioniert.
Als meine Schwester und ich noch sehr klein waren, gab es in unserer Wohnung noch keine Waschmaschine. Größere Wäschemengen und auch größere Wäschestücke wie Bettwäsche, Handtücher und ähnliches oder weiße Herrenhemden wurden immer in der sogenannten Waschküche im Hof unseres Miethauses gewaschen. Dafür war ein eigener Tag, der Waschtag, reserviert. Für uns Kinder immer ein Festtag, denn die zur Erledigung des Waschtages nötigen Verrichtungen waren allesamt aufregend, voll sinnlicher Erfahrungen und meine Mutter immer fröhlich bei der Sache.
Allein das mehrmalige Hinuntertragen der Wäscheberge mit dem Wäschekorb von unserer Wohnung im ersten Stock über viele Stiegen in den Hof und dann in die Waschküche war schon ein herrlicher Auftakt: wir durften Mithelfen und wurden ständig gelobt „Ihr seid aber schon stark!“, oder in gutgelauntem Singsang geträllerte Sätze wie „Oh, wie gut ihr der Mama schon helfen könnt!“ Wir waren eifrig und stolz.
Die Waschküche war eine duftende Traum-und Hexenküche: alles war überdimensional groß! Die riesigen Wäschekochtöpfe mit brodelndem Wasser, die riesigen Wäscheholzlöffel zum Umrühren der Wäsche, die wunderbare seifige Laugenluft, die bläulich weiß schimmernden Pfützen am Steinboden, die mit jedem Wäschewechsel von den Töpfen in die Schwemmwannen größer wurden. In einem eigenen Trog wurden hartnäckige Flecken von Hand an der Wäscherumpel saubergeschrubbt, schrubb schrubb schrubb, das Geräusch war rhythmisch und rhythmisierend, wir hüpften im Takt durch die Pfützen und sangen lustige Lieder. Wir spielten miteinander, alles war auch abenteuerlich, wenn wir uns zwischen aufgetürmten Tuchent-und Leintuchbergen versteckten. Die fertig ausgekochten und gewaschenen Wäschestücke wurden mehrmals geschwemmt und dann kam der krönende Abschluss: bauschige, tropfnasse Wäschestücke wurden durch die Presse, genannt Wäschemangel gedreht, um dann ganz flachgedrückt am anderen Ende wieder herauszukommen. Das war der reinste Zuschaugenuss. Auch haptisch: es war so herrlich, die gepressten, flachen Skulpturen entgegenzunehmen, auszubeuteln und in den Wäschekorb zum Aufhängen zu legen.
Bei Schönwetter wurde die Wäsche im Hof aufgehängt an langen Wäscheleinen, die quer über den ganzen Hof mehrmals hin und her gespannt wurden. Wir durften Kluppen zureichen und zwischen den hängenden Leintüchern durchlaufen, Verstecken und Fangen spielen. Am erhebendsten war der Anblick der weißstrahlenden Wäschestücke im Sonnenschein, wenn mit langen Holzlatten die Wäscheleinen in die Lüfte gehoben und so gespannt wurden. Erst dann war die Wäsche richtig „in den Lüften“, wehend und rein. Ich glaube, dass ich später nie wieder so strahlend weiße Wäsche gesehen habe.
Was war also das berauschende Glücksgefühl der Waschtage?
Eine Vermengung von Düften, Texturen, Geräten, Räumen und eine Choreografie von eingespielten Arbeitsabläufen wie ein Tanz, wie eine Partitur für eine Symphonie des Alltäglichen, das ebenso kostbar war: alles wurde sauber, alles roch gut, alles hatte Sinn zu etwas Schönem hin. Und gleichzeitig Raum für Phantasie und Spiel und Gesang. Ich fühle mein Laufen und Springen, mein Tragen und Zureichen, auch das Miteinander Sein mit meiner Schwester und meiner Mutter in geschäftiger Fröhlichkeit als Jauchzen, als „hohe Zeit“, ein angehobener Gefühls- und Körperzustand über einen ganzen Tag lang, das kannte ich sonst nicht. Anhaltende, angstfreie Geborgenheit mit der Gewissheit, dass alles richtig und gut war. Der Waschtag meiner Kindheit.