Auftrittsangst, luftig und leicht

von Bruni Sand

ich war zehn Jahre alt, als ich Klavierspielen lernte
in einer Musikschule der Stadt Wien

Frau Professor Behar war zart und hart
schwarzes, kurz geschnittenes Haar
extrem kurz geschnittene Fingernägel
dünnrandige Brille,
ihre Klavierspielerfinger immer in Übungshaltung, immer am Anschlag gekrümmt
den Drill, dem sie offenbar in ihrer Ausbildung in Bulgarien ausgesetzt war
(sie war sicher eine Musterschülerin gewesen)
diesen unerbittlichen Drill gab sie eins zu eins, klopf, klopf, klopf
an uns Schüler weiter

ganz anders geartet war der Direktor der Musikschule, Herr Direktor Zettl,
ein vom Akkordrauchen schon leicht gezeichneter Musikus,
alles an ihm war anziehend, interessant, verführerisch,
sein schulterlanges Haar, seine rauchige Vibrato Stimme,
er brachte uns Mädchen, die wir an seinen Lippen hingen,
einmal pro Woche die Musiktheorie auf luftig-leichte Art näher,
die Fenster im Klassenzimmer waren immer geöffnet,
Sonnenlicht in den Bäumen davor,
in den Pausen rauchte Zettl beim Fenster hinaus,
träumte er dann, oder entspannte er sich einfach,
wir jedenfalls träumten schmachtend seinen Rauchwölkchen hinterher

vor den Sommerferien, also zum Ende jeden Musikschuljahres,
gab es das Abschlusskonzert jeder Klasse,
Eltern, Onkeln, Tanten und sonstige Anverwandte lauschten tapfer den Darbietungen einer kommenden Pianisten Generation

Direktor Zettls Schüler lachten und scherzten in der Künstlergarderobe,
nichts schien sie anzustrengen oder aufzuregen, luftig und leicht

die Klasse Behar durfte sich eigens in einem Extrazimmer auf einem verstimmten Flügel noch einspielen

Frau Professor Behars Gesichtsfarbe war an diesen Abenden noch weißer als sonst,
sie war noch kleiner als sonst, auch mädchenhaft in ihrem festlichen Kleidchen, das zu ihrer ganz und gar unfestlichen Persönlichkeit einen absurden Kontrast bildete…
sie gab jedem Schüler kurz vor seinem Auftritt ihren persönlichen Handwärmer zwischen die klammen Finger, ein wohlig warmes, gerundetes Holzstück in gehäkeltem Überzug… es war, als legte sie uns ihr eigens für diesen Abend gewärmtes Herz in die Hände… irgendwie rührend sogar… wir durften sie nicht enttäuschen, unser aller, nein, IHR Leben hing von jedem einzelnen Auftritt ab

endlich
schließlich

ich war fünfzehn Jahre alt (bald sechzehn Lenze immer Sommer dann!)

für das Abschlusskonzert hatte ich ein Schubert Impromptu einstudiert
in der letzten Klavierstunde vor dem Konzertabend musste ich das ganze Stück (Generalprobe quasi) Frau Professor Behar noch einmal vorspielen

ohne Ausbesserungen, ohne Feinschliffchen, ohne dort ein bisschen länger halten, da ein bisschen mehr Nachdruck, diese Pause nicht zu kurz,
alles durchspielen ohne Pause

ich spielte also
die Behar stand am Fenster, Blick hinaus
als der letzte Ton verklungen war, Stille

ich drehte mich um, ich sah ihren Rücken,
ihre ganze mir über die Jahre so eingeprägte Gestalt
Stille, keine Regung

als sie sich schließlich umdrehte, sah ich,
dass sie geweint hatte,
ihr Gesicht tränenüberströmt
sie dankte mir für mein Spiel und meinte,
dass sie dieses Stück noch nie so schön gespielt gehört hatte und
jetzt wüsste, dass sie nicht umsonst Klavierlehrerin geworden war

ich ging, in mir ein unbekanntes Gefühl, eine Erschütterung

ich bin auf unserer Toilette
das Fenster geht in einen Lichthof
eine Taube gurrt
mein Bauch schmerzt
ich bin Angst
die Angst vor dem Auftritt heute
in wenigen Stunden ist es so weit
es ist kalt
die Taube gurrt im Lichthof
ich kann diese Toilette nicht verlassen
draußen warten alle auf mich
mein Onkel, dem ich am Nachmittag den Schubert
nochmals so schön vorgespielt habe,
meine Mutter, alle in Vorfreude,
ich kann nicht
die Taube gurrt ohrenbetäubend
mein Bauch schmerzt

ich bin dann nicht zum Konzert gegangen

im Sommer habe ich Rudi kennengelernt
erste Ahnung von Befreiung
„oh Rudi, wir werden uns retten, gegenseitig!“

im Herbst habe ich mit der Musikschule aufgehört
und mich für immer von Frau Professor Behar verabschiedet

mein Schubert Impromptu habe ich in diesen Sommerferien noch sehr oft gespielt,
auch auf dem sonst nie bespielten Flügel meiner Tante am Land,
in dem marmorverfliesten Vorzimmer ihres Bauernhofes,
ein Salon mit dem Geruch nach Schweinestall
die Melodie wehte über den Hof, die Scheunen,
über die Weingärten, über die goldenen Felder…

Oh Sommer, oh roter Mohn, oh Liebe, oh Sehnsucht!

Danach spielte ich jahrzehntelang nicht mehr Klavier.

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